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Jan Schabacker, unser Leiter der Pressestelle, hat zwar seine Profession in der polizeilichen Presse- und Öffentlichkeitsarbeit gefunden. Besonders geliebt hat er aber auch die Zeit bei der Einsatzhundertschaft in Münster. Dort war er als stellvertretender Zugführer eingesetzt. Lesen Sie hinter Türchen 16, wie ein Tag dort sein kann.
Unterwegs im Auftrag des (Dienst-)Herrn - eine ganz normale Landeseinsatzbereitschaft der Bereitschaftspolizei Münster im Jahre 2010

2. Mai 2010, Landeseinsatzbereitschaft von 10 bis 18 Uhr. Nach dem Einsatz beim Fußballspiel Schalke gegen Bremen und der Räumung des Steiner Sees, an dem Jugendliche die Feierlichkeiten zum 1. Mai etwas übertrieben hatten, hofften wir vom dritten Zug der Einsatzhundertschaft, den Schriftkram vom Vortag erledigen und die eigenen Klamotten ein wenig ordnen zu können. Doch erstens kommt es anders und zweitens als man denkt. Unterwegs im Auftrag des (Dienst-)Herrn brachten wir es an diesem Einsatztag auf 470 Kilometer quer durchs Land NRW.

Station 1: Zu den Bandidos nach Bochum 

Von Münster ging es gleich nach Dienstbeginn auf in Richtung Bochum: Alarmierung zu den Bandidos. 600 Rocker sollten am Niederrhein unterwegs sein, alle möglichen Kräfte wurden zusammengezogen. 80 Bandidos befanden sich zum selben Zeitpunkt am Bochumer Vereinsheim. Dort erwartete uns die Hundertschaft von Bochum zur Unterstützung. Von Rocker-Seite plante man einen Ausflug nach Gelsenkirchen.

Station 2: Granatenstimmung in Gelsenkirchen

Also von Bochum nach Gelsenkirchen: Angedockt an die Bochumer Kollegen begleiteten wir rund 80 Bandidos auf ihren Motorrädern von Bochum zum Vereinsheim in Gelsenkirchen. Dort eingetroffen, kam ein Kollege mit einem Gelsenkirchener Bürger ins Gespräch, der einen Spaten in der Hand hielt. "Hör´n se mal. Ich grab gerade so´n Fundament in meinem Garten. Ich glaub ich hab dabei ‘ne Granate gefunden. " Wir schauten nach und stellten fest: Tatsache, Granatenstimmung in dem Garten. Aus weniger als drei Metern Entfernung mussten wir mit ansehen, wie ein schwanzwedelnder Mischlingshund hellauf begeistert am frisch ausgegrabenen Zünder schnupperte. Wieviel Kilogramm Sprengstoff sich unterhalb der Weltkriegs-Armatur im Erdreich versteckten, war auf den ersten Blick nicht ersichtlich. Ich drehte mich um und ordnete unseren Rückzug an: "Wir gehen und nehmen Sie um Gottes willen Ihren Hund mit." Verständnislose Blicke des Schalker Anwohners. "Was soll denn da schon passieren..."

Entfernung von der Bombe zum Bandidos-Heim größer als 100 Meter. Keine Gefahr für die Rocker, das muss erstmal reichen. Jetzt mit einem Zug die Bandidos-Jungs aus ihrer Hütte zu sprechen erschien auch recht „unattraktiv“. Zeitgleich klingelte das Handy von meinem Zugführer. "Hier die Landesleitstelle, ich habe einen neuen Auftrag. Ihr verlegt sofort mit Sonderrechten nach Bonn. Die Bundeskanzlerin und der mexikanische Staatspräsident sitzen auf dem Petersberg fest, Demonstranten blockieren die Zufahrten. Die dort eingesetzten Kollegen benötigen dringend Verstärkung." Mein Chef antwortet (ein wenig süffisant...): "Wir haben aber schon selber was gefunden." Die Landesleitstelle: "Was denn?" Jörg: "Eine Bombe." Die Landesleitstelle: "Ich melde mich später nochmal." Also, wir machen weiter und evakuieren die Häuser im unmittelbaren Nahbereich. Dann erscheinen Kräfte aus Gelsenkirchen. Ein weiterer Anruf der Landesleitstelle. "Sie werden jetzt rausgelöst. Verlegen Sie sofort nach Bonn."

Station 3: Blaulichtfahrt nach Bonn

Auf geht´s von Gelsenkirchen nach Bonn. Na gut, es ist früher Nachmittag und die 150 Kilometer sitzen wir doch auf einer Pobacke ab. Mal schauen, was uns dort erwartet. Nach 80 Kilometern mit Martinshorn steigt die Sorge, sich latent einen nicht stress- aber lautstärkebedingten Tinnitus einzufangen. Wenn man jetzt das Horn abstellt, ob man es dann wohl weiterhört? Kurz vor Bonn droht die Apokalypse. Eine schwarze Wand kommt auf uns zu und entlädt sich in einem akzeptablen Frühlingsschauer. Das hat ungeahnte Folgen. Bei Erreichen der Zufahrt zum Petersberg sehen wir rund zehn reichlich bestreuselt aussehende, klatschnasse Demonstranten mit einer deformierten Weltkugel und einen ziemlich bedröppelten Polizeidirektor, der sich freundlich entschuldigt: "Vor dem Schauer ging hier nichts. Da waren die alle noch hier. Aber jetzt scheint sich Ihr Einsatz erledigt zu haben..." Den Eindruck haben wir auch. Wenigstens hat auch das Gehör das Martinshorn abgestellt. Jetzt dürfte zumindest Zeit sein, beim Polizeipräsidium Bonn seine Notdurft zu verrichten. Mittlerweile ist es 17:30 Uhr. Eine halbe Stunde vor Dienstschluss. Das funktioniert auch mit Sonderrechten nicht bis Münster. Und wurde heute nicht auch noch irgendwo Fußball gespielt...?

Station 4: In Schutzaussattung ins Stadion

Standort: A1 hinter Leverkusen. Ab nach Oberhausen. 18 Uhr irgendwas. Das Handy meines Chefs klingelt. "Hier die Landesleitstelle." Chef: "Ich hab keine Lust." Die Landesleitstelle: "Verlegen Sie sofort mit Sonderrechten nach Oberhausen. Beim Fußballspiel RWO gegen Düsseldorf drohen Fans beider Mannschaften das Spielfeld zu stürmen." Jetzt wird´s langsam unentspannt. Es ist zeitlich kaum möglich, den Spielort vor Abpfiff zu erreichen. Trotzdem gelingt es. Vor Ort herrscht ziemliche Panik. Wir legen die Schutzausstattung an. Mein Chef und ich gehen ins Stadion um Kontakt zum Hundertschaftsführer von Recklinghausen aufzunehmen. Was wir zu sehen bekommen, ist beeindruckend. In der Gästekurve sieht kaum jemand freundlich gestimmt aus. Viele sitzen auf dem Zaun und provozieren die gegnerischen Fans und Polizisten. Wir integrieren uns in eine Polizeikette vor den Düsseldorfer Block und demonstrieren Stärke. Das funktioniert zum Ende auch. Die Düsseldorfer ziehen sich vom Zaun zurück und wandern relativ friedlich ab. Auch die Oberhausener werden in Schach gehalten. Aber das hätte auch anders laufen können.

Kein Tag wie jeder andere

Obwohl eigentlich nichts passiert ist, war dieser Tag doch keiner wie jeder andere. Von der Granate haben wir nichts mehr gehört. Und am Ende fragt man sich: Was wäre gewesen, wenn wir all die Einsatzörtlichkeiten nicht besucht hätten? Man weiß es nicht. Hauptsache: Ende gut, alles gut.

Jan Schabacker, Leiter der Pressestelle 

In dringenden Fällen: Polizeinotruf 110